Gott und die Welt
Christliche Religion und Spiritualität

Betrachtungen über das Fasten

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.“ Jesus hatte vierzig Tage und Nächte gefastet, als er diese Worte aus dem Alten Testament (Deut. 8,3) zitierte und damit Satan seiner Waffen – der Versuchung durch Hochmut und weltliche Pracht – beraubte.  In Erinnerung an jene 40 Tage begehen die Christen die 40 Tage vor Ostern als Fastenzeit. Aber wem ist dabei noch bewusst, dass dieses Fasten uns wirklich Leben – mehr als Brot allein es kann, ein Leben im Hinblick auf die Auferstehung – schenkt und uns gegen die Versuchungen des Egoismus und weltlicher Pracht siegen lässt? Und wer noch weiß, dass dieses Fasten nicht freudlose Entsagung bedeutet, sondern eine erlösende Befreiung von Bindungen, eine Reinigung der Seele und eine (vor)freudige Vorbereitung auf das österliche Heilsgeheimnis?

Unbestritten sind heute die körperlichen Früchte des Fastens. Moderne Mediziner empfehlen es als einen Frühjahrputz für den Leib. Keine Frage: (Heil-)Fasten für den Leib – um der Gewichtsabnahme, Entschlackung und Schönheit willen – ist in. Aber Fasten um Gottes willen? Fasten als Frühjahrsputz für die Seele? Dabei müsste man sich, um dessen geistliche Früchte zu erkennen, nur einmal aufmerksam die Worte der Präfation vergegenwärtigen, die in der Fastenzeit in unseren Kirchen gebetet wird: „Durch das Fasten des Leibes hältst du die Sünde nieder, erhebst du den Geist, gibst du uns die Kraft und den Sieg durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Es gibt also auch so etwas wie ein Heilfasten für die Seele – durchaus mit den gleichen Auswirkungen wie für den Leib: Gewichtsabnahme, Entschlackung und Schönheit. Gewichtsabnahme, weil die Seele durch freiwilligen Verzicht frei wird von dem Ballast, der ihr das Leben mit Gott oft schwer macht: übermäßige Anhänglichkeit an die Welt, an ungute Gewohnheiten, an flüchtige Freuden, die zwar in sich selbst nicht schlecht sein müssen, uns aber fesseln und den Blick auf die ewige Freude verstellen können, so wie die Konzentration auf das irdische Brot die Hinwendung zum himmlischen viele vergessen lässt. Mit diesem Freiwerden von Ballast gehen einher Entschlackung, weil der geübte Verzicht innerlich reinigt, und Schönheit, weil durch diese Reinigung die Seele ihre ursprüngliche Schönheit wieder erhält und in ihr – befreit von den Wurzeln der Sünde, des Hochmuts, des Neids und der Gier – das Ebenbild Gottes und die Früchte des Heiligen Geistes im Menschen wieder sichtbar werden, allen voran Liebe, Freude und Friede.

Der heilige Franz von Sales gebraucht in seiner „Anleitung zum frommen Leben“ ein  treffliches Bild, wie die Seele vor Anhänglichkeit an die Welt sinnbildlich zu fett zu werden droht und das geistliche Leben darunter leiden kann: „Ist der Hirsch zu feist geworden, so birgt er sich im Gebüsch; er fühlt, dass bei einer Verfolgung ihm das Fett im Laufen hinderlich wäre. Wird das Herz mit der Liebe zu unnützen, überflüssigen und gefährlichen Dingen belastet, dann kann es gewiss nicht mehr rasch, leicht und beweglich seinem Gott entgegeneilen; gerade darin aber besteht die Frömmigkeit.“

So geht für den Christen mit dem leiblichen auch ein seelisches Fasten einher (Anselm Grün bezeichnet das Fasten gar als ein „Beten mit Leib und Seele“), mit dem er der endgültigen Befreiung von allen irdischen Bindungen und den Fesseln des Todes – dem Auferstehungs-Mysterium von Ostern – entgegeneilt, sich darauf vorbereitet und einstimmt.

Lässt man sich doch auf große Geschehnisse in der Regel nie völlig unvorbereitet ein. Das ist im alltäglichen Leben nicht anders als im spirituellen. Hochzeiten, Prüfungen, wichtige Verabredungen – ob geschäftlich oder privat – erfordern eine Zeit der Vorbereitung, ja, selbst ein kurzer Urlaub wird gründlich geplant: Mit Landkarten, Reiseführern, Internet-Recherchen und Bildbänden stimmen sich manche schon darauf ein und erleben dabei schöne Stunden der Vorfreude. Auch das ist im spirituellen Leben nicht anders als im alltäglichen. Vor den großen Ereignissen des Kirchenjahres steht jeweils eine Zeit der erwartungsvollen und freudigen Vorbereitung. Vor Weihnachten etwa steht der Advent, der im Grunde auch eine Fastenzeit ist, was leider aus dem Bewusstsein vieler Christen verschwunden ist. Dass dieses Schicksal der Vorbereitungszeit auf Ostern erspart blieb, liegt nicht zuletzt daran, dass sie direkt mit dem Begriff „Fastenzeit“  bezeichnet wird.

Der dabei zu Tage tretende Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament offenbart die unergründliche Tiefe des Heilsplanes Gottes: Vor der Feier des alttestamentlichen Paschafests essen Juden das „Brot der Bedrängnis“ (ungesäuerte Brote), bevor sie das Paschafest feiern. Ebenso verzichten die Christen möglichst auf Gaumenfreuden, bevor sie das neu(testamentlich)e Pascha feiern. So wie die Juden ihre Rettung durch das Blut des Pascha-Lammes an ihren Türen feiern, so feiern die Christen ihre Rettung durch das Blut Christi, des Lammes Gottes am Holz des Kreuzes – die endgültige Befreiung von Schuld und die Auferstehung als Überwindung des Todes, der durch die Sünde des Menschen am Baum der Erkenntnis in die Welt kam.

Jene Sünde, die im Garten Eden erfolgte Hingabe des Menschen an die falschen Versprechungen des Bösen wird mit dem Fasten bewusst widerrufen. Dem Nachgeben der Verlockungen wird bewusst der Verzicht entgegengesetzt. In diesem Sinn ist die Fastenzeit auch eine stetige Erinnerung des Taufgelübdes („Widersagst du dem Satan und all seinen Werken und all seiner Pracht?)“. Daher auch ist mit der Oster-Liturgie eine Erneuerung der Taufgelübde verbunden. Vor der Auferstehung kommt der Tod des alten Menschen, der seine Schwächen kreuzigt und bereit ist, sein Leben zu verlieren, um es zu gewinnen.

Es liegt auf der Hand, dass Verzicht und Maßhalten sich nicht auf die Speisen beschränkt, sondern auf alles, was von Gott weg- und zu falschen Götzen hinführen kann. Es muss der einzelne Christ für sich selbst entdecken, was dies in seinem Fall bedeuten könnte: Fernsehen, Auto, Geld, Vergnügungen, Internet, Musik oder anderes. Doch hilft der Verzicht auf Speisen im Üben des generellen Verzichts. Durch Entsagen dessen, was an sich nicht Sünde ist, wird man stärker darin, dem zu widersagen, was Sünde ist. Auf diese Weise hält, um auf die eingangs zitierten Worte der Präfation zurück zu kommen, tatsächlich das „Fasten des Leibes die Sünde nieder“ und erhebt den Geist. Und dies nicht nur im Hinblick auf Ostern, sondern auch auf das danach kommende große Fest im Kirchenjahr: Pfingsten.

„Wenn ich nicht gehe, kann der Beistand nicht zu euch kommen“, sagt Jesus im Hinblick auf das Pfingstereignis. Wie im Gleichnis von den Jungfrauen mit den Lampen warten wir während der Fastenzeit wachsam auf die die Gnaden Gottes, die er uns zu Ostern und Pfingsten schenkt und halten unsere Seelen bereit und geschmückt. Gott hat eine Zeit der Zubereitung, der Hinwendung und des Sich-Leer-Machens vor jede große Gnade gesetzt. So ist auch das Fasten ein Sich-Leer-Machen (von den Dingen der Welt) für den Geist Gottes. Um mit Gnaden erfüllt zu werden, muss zuvor das entfernt werden, was der Gnade im Weg steht.

Niklaus von Flüe hat dies herrlich in seinem berühmten Gebet ausgedrückt: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert dir. Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich ganz mir und mach mich ganz zu eigen dir.“

Das ist, ohne dass der Heilige es wörtlich formuliert, der wahre Geist des Fastens.

© Stefan Teplan

Erstveröffentlichung Mediatrix Verlag 2008

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