Gott und die Welt
Christliche Religion und Spiritualität

Paulus – Jude oder Christ?

Wollte Paulus gar kein Christentum gründen? Ein neuer Film soll Christen und Juden miteinander versöhnen, provoziert aber auch. Stefan Teplan sprach mit den renommierten Bibelforschern Ruth und Pinchas Lapide, die das Drehbuch schrieben.

Manfred Schwabes Rolle im ARD-Dauerbrenner „Lindenstraße“ fand ein unrühmliches Ende: Als TV-Pfarrer Matthias Steinbrück, der es mit dem Zölibat nicht so genau nahm, wurde er von einem Mädchen und deren Freund ins Jenseitsbefördert, das er immer so glühend beschrieben hatte. Vom Pfarrer wandelt sich Schwabe nun zum Apostel: Er spielt im Fernsehfilm „Um meiner Brüder willen“ den heiligen Paulus – nach einem Drehbuch der renommierten Theologen Ruth und Pinchas Lapide.

Schwabe nahm seine Rolle sehr genau: Eine Nacht lang saß er mit dem Theologenehepaar zusammen, bis er ein abgerundetes Bild von der Figur des Paulus und den Bedingungen, unter den dieser gewirkt hatte, gewann.

Auch die TELE-WELT wollte es ganz genau wissen. In einem Exklusiv-Interview befragten wir die Lapides, welche Anliegen ihr Film vertritt – und bekamen einige, teils schwerverdauliche, theologische Überraschungen serviert:

– Saulus änderte nie seinen Namen
– Saulus erlebte keine Bekehrung
– Der Rabbi Saulus wollte kein Christentum gründen.

„Nie wurde aus Saulus ein christlicher Paulus.“ So rechtfertigt sich der Heilige im Film, in dem er – nach fast 2000 Jahren – wiederkehrt und in einer Synagoge in Deutschlandeinige Richtigstellungen am Bild, das um seine Person entstanden ist, vornimmt. „Saulus“, erklärt Lapide, „hat sich den zweiten Namen Paulus für die Heidenwelt zugelegt. So etwas war jüdische Tradition. Er hatte zwei Namen, aber nie aufgehört, Saulus zu sein.“ Eine Korrektur am christlichen Bild? „Nein, protestiert Lapide, „ich korrigiere nicht, ich lese nur richtig.“ Und verweist dabei auf Apostelgeschichte 13,9: „Saulus, auch Paulus genannt…“ Das Sprichwort „Ein Saulus wurde zu Paulus“ verliert also seine Pointe.

Kann man das noch schlucken, liegt der nächste Brocken schon schwerer im Magen: „Paulus“, so Lapide, „hat auf dem Weg nach Damaskus keine Bekehrung erlebt. Sondern eine Berufung ähnlich wie alle Propheten in der Bibel. Es gab zu dieser Zeit auch noch keine etablierte Religion namens Christentum. Von wo hätte er sich also wohin bekehren sollen? Das Wort ,Bekehrung‘ steht im griechischen Originaltext auch nicht da, sondern eben ,Berufung‘.“ Im Film lässt Lapide „seinen“ Paulus vor den Juden in der Synagoge sagen: „Diese meine angebliche Bekehrung habe ich den christlichen Fehlübersetzern der Apostelgeschichte zu verdanken. Jeder kann es nachlesen. Auch ihr.“

Brocken Nummer drei: Paulus wollte kein Christentum gründen. „Er wollte“, glauben Lapides, „ein reformiertes Judentum.“ Im Film wird Paulus in den Mund gelegt: „Eine Kirche begehrte ich niemals zu gründen. Meine Anhänger aus den Heiden sollten jüdische Jesuaner werden können, ohne die Mühsal der Beschneidung auf sich nehmen zu müssen. Das war der Hauptsinn meiner Reform.“

Aber der Lapidsche Paulus verteidigt sich nicht, um mit den Juden wieder lieb Kind zu sein. Er provoziert sie auch und tut, was er schon vor 2000 Jahren tat: Er predigt seinen Messias. „Täglich betet ihr um die Auferweckung von den Toten – und von Jesus, dem gerechten, wollt ihr es nicht glauben! Warum eigentlich nicht?“

Und damit kommt Lapide seinem eigentlichen Anliegen nahe: Er will – mit Paulus – Juden und Christen miteinander versöhnen. „Es gibt keine zwei Religionen auf der Erde, die so nahe miteinander verwandt sind. Es ist ein Jammer, dass so viel schief gelaufen ist über die Jahrhunderte“, sagt Lapide. Und seine Filmfigur setzt nach: „Ihr und ich sollten die Ökumene der Ignoranz aufbrechen, in der Juden und Christen so viel voneinander wissen, wie auf eine Postkarte geht.“ Die Lapides: „Nicht Vermischung, sondern Eintracht in der Vielfalt bleibt das Traumziel.“

Copyright: Stefan Teplan
Erstveröffentlichung in „tele-welt“ Nr. 6, 1997

(TELE-WELT, die einzig christliche Fernseh-Zeitung, die es je in Deutschland gab, lag als TV-Supplement dem Magazins WELTBILD und zahlreichen Kirchenzeitungen in einer Gesamtauflage von 530.000 Exemplaren bei. Stefan Teplan war verantwortlicher Redaktionsleiter der TELE-WELT von 1991 bis 1998)